Heimsuchung zu Tisch: Im Berlin - Brooklyn - Berlin Express mit Katja Bartholmess #10

1/07/2020 06:30:00 PM


Katja Bartholmess (Berlin, Freischaffend, Freigeist, Beraterin)


An inquisitive mind: Katja
Woher wir uns kennen:
Wenn man Urlaub in der Stadt machen will, gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: ein dürftig eingerichtetes AirBNB mieten, wo der Landlord sicher noch nie auch nur eine einzige Nacht selbst verbracht hat oder in einem der überbewerteten Boutique-Hotels absteigen. Oder - und das ist Katjas und mein bevorzugter Weg - einfach die Wohnung mit Einheimischen tauschen! Und so lernten wir uns kennen: Katja hatte ein großartiges Apartment in Brooklyn und wir eines in Berlin. Katzenbetreuung inklusive.
Vor nicht ganz einem Jahr zog sie - auch wenn sie es als vorübergehend bezeichnen wird - zurück nach Berlin, wo sie bereits Anfang der Nullerjahre lebte. Spannend, wenn man die zwei Dekaden der Gentrifizierung überspringt und wieder dort zurückkehrt, wo alles einmal begann. Der "Lange Weg nach Mitte" schrieb Diedrich Diederichsen 1999, nun müsste Katja mit ihrem "Langen Weg nach F'hain" eigentlich nachlegen. 



Nun, wenn ich also an Katja denke, denke ich an Urlaub in NYC. Keine schlechte Assoziation! Wir trafen uns zum Hipster Lunch in Friedrichshain, allerdings mit "Mushrooms on toast", denn Avocado geht nicht mehr.

Zwischen dem Friedrichshain der Nullerjahre und dem Heutigen liegen Welten. Was ist aber gleich geblieben?

KB: Ich bin im Sommer 2004 nach Friedrichshain gezogen, im Winter desselben Jahres machte dann das Berghain auf. Der Mythos um diesen Friedrichshainer Ort hält sich auf jeden Fall stabil seit 15 Jahren. 

Mit Gentrifizierung von Kiezen kennst du dich gut aus, deine New Yorker neighbourhood Bushwick durchlebte den Wandel mit high speed. Was rätst du Berlinern, wie sie damit umgehen sollen?

KB: In NYC habe ich immer den Leuten gebannt zugehört, wenn sie vom New York der 1990er oder gar 1980er berichtet haben. Als alles super rough war und man sich in SoHo ein Loft für einen Apfel und ein Ei leisten konnte. Als niemand nach Brooklyn wollte. Das war alles so ein harter Kontrast zu meiner eigenen New Yorker Realität. Jetzt bin ich die, die Geschichten vom “Berlin von früher” erzählen kann. 

Für Berlin hoffe ich, dass es nicht den Weg von San Francisco geht. Alles, was es dort an Kultur und Subversität gab, wurde von Tech Bros mit Silicon Valley Money weggeblasen. Gegen San Francisco ist NYC geradezu ein Mietenschnäppchenparadies. Die beiden Städte sollten sich mal unterhalten. 

Du arbeitest als Freiberuflerin und berätst Unternehmen, wie sie einen gesellschaftlichen Mehrwert zu ihrem Unternehmenszweck machen können (s.g. Benefit Corporations). 
Welchen Ressentiment begegnest du dabei am häufigsten?

KB: Lustig, dass direkt die Frage nach den Ressentiments kommt. Dabei gibt es gar keine. Die meisten Unternehmen, mit denen ich in den letzten Monaten gesprochen habe, finden die Themen Nachhaltigkeit und Purpose sehr wichtig. Die konstanten News über die Ausmaße der Klimakatastrophe lassen keinen kalt und in jedem Gespräch kommt die Frage danach, was das jeweilige Unternehmen für einen gesellschaftlichen Auftrag hat. 

Das heißt nicht, dass alle Unternehmen auf dem richtigen Weg sind, doch die Zeiten der Ressentiment gegenüber Forderungen nach Sozial- und Umweltverträglichkeit von Unternehmen sind vorbei. Und ich prognostiziere, dass nur diejenigen überleben, die diese Themen als strategisch zentral für den Unternehmenserfolg erkennen.

Welche Bands oder Künstler gehören in New York zum größten gemeinsamen Nenner der Musiknerds, sind aber in Berlin vollkommen unbekannt?

KB: Ein Name, bei dem alle Musicians anerkennend nicken, ist Harry Nilsson. Um diesen Singer Songwriter aus den 1970ern wertzuschätzen, muss man aber schon ein ziemlich hardcoriger Indie Lover sein. Das bin ich nicht und außerdem ist er tot. 

Wer mir dagegen ans Herz gewachsen und dabei auch ein Musiknerd-Darling ist, ist Jonathan Richman. Mit den Modern Lovers war er rund um 1970 einer der ersten U.S. Proto-Punkbands, als Solosänger habe ich ihn ein paarmal erlebt und sehr gemocht.


Ich glaube, man muss wirklich so tief im musikalischen Urschleim graben um Künstler zu finden, die eine Relevanz in NYC und den USA haben, ohne auch in Berlin und Europa Anerkennung zu finden. Die amerikanische Popkultur ist einfach zu einflussreich und durch Social Media lassen sich selbst obskure Talente schnell verbreiten.

Und was würdest du deinen New Yorker Freunden für Berliner Bands empfehlen?

KB: Nils Frahm und Seeed, oder? Hahaha. Aber eigentlich sollen sie mich besuchen kommen und dann zeige ich ihnen, was Berlin für mich einzigartig macht: Die berauschende Mischung aus unfassbar guter elektronischer Musik gepaart mit betörenden Lichtinstallationen aufgeboten in den krassesten Gebäudestrukturen der Welt. 

Das perfekte Beispiel dafür war die Deep Web Installation im Kraftwerk von diesem Sommer:






Wenn du Greta Thunberg auf ihrem Segelturn nach New York mit ein Mixtape hättest versorgen können, welcher Song wäre der Opener?

KB: “Do Your Best” von John Maus:
Das Lied ist schon älter, war aber gerade der finale Song in der finalen Episode von High Maintainance (HBO), einer wundervollen Serie über einen Grasdealer in NYC. Zu dem Track fährt der Protagonist mit seinem Fahrrad durch die geliebte Stadt and maybe I cried and maybe I didn’t. 


Mehr zu Katja 

Katja Bartholmess
Strategist | Advisor | Collaborator | bartholmess.com 

Fired up about Climate & Social Justice, Sustainability, Systems Change



Vielen Dank, Katja!

Dipl.Imp

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