Heimsuchung zu Tisch #8: HipHop Allerlei mit Florian

8/27/2019 07:55:00 PM

Florian Grüning, (29 / Berlin)
Gründer Powerplace.io, Data Scientist, Podcaster, Hiphopper:




Woher wir uns kennen:
Ich erinnere mich gut an eine Diskussion mit Florian vor gut 4 Jahren. Wir arbeiteten in der gleichen Firma als Marketing Consultants und machten den ganzen Tag irgendwas mit Daten. Beim Feierabendbier auf der Dachterrasse behauptete ich frech: "HipHop ist tot". Florian reagierte fassungslos, "Wie kannst du so etwas sagen?! HipHip ist lebendiger denn je!" Nun, abgesehen davon, dass ich von HipHop absolut keine Ahnung habe, wusste ich zu diesem Zeitpunkt auch nicht, dass Florian vor und während der Beraterkarriere Freestyler und HipHopper war, Tracks aufnahm und überhaupt aktiver Teil der Szene war. Wie er heute zu HipHop steht, wird er uns sicher gleich verraten. Vor einiger Zeit hat Florian ein Data Start-up gegründet, Powerplace.io. Wir trafen uns zum Lunch im beschaulichen Potsdam zum Kantinenklassiker Putenschnitzel mit Leipziger Allerlei. 

Du bist Gründer, Data Scientist, Podcaster, Hiphopper: Wie erklärst du einem 6-Jährigen
Kind deine Arbeit?

Bevor ich ihm erzähle was ich tue, würde ich ihm erklären warum ich Dinge tue. Ich bin sehr emotional und um mich gedanklich frei zu machen, brauche ich einen Kommunikationskanal und eine Ausdrucksform, um das was in meinen Kopf ist, mit anderen zu teilen. Bei allem was ich mache ist es mein Anspruch einen eigenen Standpunkt und eine ansprechende Form zu entwickeln, um diese mit anderen zu teilen. Ich warte dann ab und schaue was das Feedback mit mir macht. Manchmal ist es Feedback, das meinen Standpunkt ändert, ab-und-an ist es Lob aber meistens ist es harte Kritik. Ich finde jede Reaktion gut und gehe damit um wie es kommt. Es geht mir letztendlich darum durch die Resonanz mich selber etwas besser zu verstehen, der Nervenkitzel der dabei in mir entsteht und natürlich die Competition. Boah, ich finde es richtig geil anzuecken, von Menschen unterschätzt zu werden oder jemanden vom Gegenteil zu überzeugen.

Meine Ausdrucksform war damals in der Oberschule Rap. In der Uni war ich dann vom wissenschaftlichen Arbeiten begeistert. Ich wusste aber, dass die strengen Hierarchien in der Universitätsforschung nichts für mich sind. Im ersten Job hab ich dann gesehen wie groß und vielfältig Digitalisierung sein kann. Das Internet gibt mir die Möglichkeit neue Dinge zu erforschen, auszuprobieren und mich grenzenlos selbst zu verwirklichen.
Ich glaube, dass ein 6-jähriger meinen Ansatz noch am ehesten versteht, wenn ich ihn kinderfreundlich erklären könnte. Mit 6 Jahren bist du noch so unbeeinflusst und abenteuerlustig. Du kreiierst dir einfach deine eigene Welt. Deshalb würde der 6 Jährige von sich selber behaupten, dass er Fußballspieler, Architekt und Profi Panini-Bild Sammler zur selben Zeit ist. Er würde bestimmt fragen ob wir zusammen einen Song aufnehmen und ob er auch schon eine Firma gründen kann, denn er hätte da eine Idee im Bereich Teleportation.

Was ist für dich der Sound von Daten? Wie würde er klingen?

Es ist der Sound aus einem Weltempfänger-Radio. Du bewegst den Dreh-Knauf so lange in eine oder die andere Richtung bis aus dem Rauschen eine klar verständliche Stimme kommt, die dir die Wetterprognose mitteilt. Je mehr du deinen Standort veränderst, desto eher musst du die Frequenz anpassen. Selbst wenn du die Stimme aus dem Weltempfänger hörst, musst du sie manchmal übersetzen oder darauf achten, dass da niemand Fake-News erzählt. Ähnlich ist es mit Datenanalyse. Bei einem identischen Problem aber unterschiedlichen Datenquellen wird die Analyse und Methode eine ganz andere sein.

Wenn dein Arbeitsplatz wie ein klassisches Rockband Set-up (Drums, Bass, Gitarre, Vocals) aussähe, welche Rolle würdest du einnehmen und warum?

Ich wäre wahrscheinlich der Front-Sänger der Band, der ständig versucht dem Rest zu erklären was für eine große Vision in Musik umgewandelt werden sollte. Leider bin ich unfassbar unmusikalisch und kann keine Noten lesen – die Instrumentals, die ich produziere, baue ich über drumsets, mit Software und einem Midi-Keyboard.

Welche Gemeinsamkeiten siehst du zwischen HipHop und der Start-ups/Gründerszene?

Ganz viele. Ich hab mit 14 angefangen Texte zu schreiben und mit meinem besten Freund aufzunehmen. Meine ganze Oberschulzeit verbrachte ich mit dem Spirit - „Wir zwei gegen den Rest der Welt“. Niemand hat damals daran gedacht Geld mit deutschem Hip-Hop zu verdienen. Es ging nur um den Spaß etwas zu erschaffen und dafür ein bisschen Respekt auf der Straße zu bekommen. 
Nächtelang haben wir uns Songs angehört, an unseren Texten gefeilt, besseres Equipment gekauft und gelernt wie man einen Song abmischt. Meine ersten Songs kursierten auf den MP3-Playern meiner Mitschüler und die Resonanz war vernichtend. Ich weiß noch ganz genau, dass das ein Liebessong war. Alle machten sich lustig und hänselten mich, weil ich die Zeile rappte „deine Lippen sind so weich wie Hundefell“. Viele hätten wahrscheinlich aufgehört. Ich hab aber nie den Drang verspürt von der Welt geliebt zu werden, also bin ich stattdessen nachhause gegangen und hab weiter gemacht.
Mit der Zeit und kontinuierlicher Übung habe ich gelernt wie ich meine Message so verpacke und umschreibe, dass es auf der anderen Seite die Emotion auslöst, die ich in meinem Kopf als Bild habe. Während des Studiums hab ich dann aufgehört Songs zu releasen. Ich hab es irgendwie aus den Augen verloren. Aber Jetzt halt dich fest! – 4 Jahre später geht der HipHop Markt in Deutschland durch die Decke. Rapper, die ich privat, aus ICQ oder Nischen-Internetforen kannte, fingen an richtig bekannt zu werden und sind heute Platin-ausgezeichnete Künstler.
Aber was hat das mit Start-Ups zu tun? Die Mentalität und der Spirit der Szene ist der selbe. Man muss geduldig sein, durchhalten und viel an sich selber arbeiten. Man darf anderen Meinungen nicht zu viel Beachtung schenken aber man darf sie auch nicht ignorieren, ansonsten läuft man Gefahr nie jemanden mit der Musik oder dem eigenen Produkt zu erreichen. Daher musst du das Feedback sondieren und beim nächsten Mal austesten was funktioniert und was nicht. Du darfst absolut kein Problem damit haben anzuecken oder zu provozieren. Der Antrieb muss etwas Größeres sein als Geld und du musst an das was du tust glauben. Bei manchen dauert es 1 Jahr und bei anderen 10 Jahre wirtschaftlich erfolgreich zu werden. So ist es auch bei Musikern…

Ich erwähnte eingangs unsere Diskussion zu HipHop: Wie ist deine Meinung dazu heute?

Der Markt ist größer denn je. Das ist absolut verrückt, wenn ich das mit meiner Zeit vergleiche. Damals gab es vielleicht 300 relevante Underground-Rapper deutschlandweit, die sich in Internetforen zu Städtetreffen organisierten. Es gab vermutlich gerade mal 10 Rapper, die von der Musik einigermaßen Leben konnten. Heute rappt jeder zweite Jugendliche und lädt es auf Instagram hoch. Dadurch, dass Deutschrap im Mainstream angekommen ist, sind die Motive bei „Anfängern“ andere. Viele Jugendliche wollen schnell reich werden und das geht zu Lasten des Zusammenhalts im Untergrund. 
Bei den Topkünstlern haben sich seit 3 Jahren oder sagen wir seit dem Künstler Cro viel Melodien durchgesetzt. Nicht zu Letzt dadurch erreicht man größere Zielgruppen. Bei diesen Künstlern sind die Texte auch weniger anspruchsvoll und dadurch sehr austauschbar geworden. Eben wie Popmusik. Der Markt ist allerdings groß genug, um immer einen Song zu finden, den man hören kann.

Ein Song, den du mit deinem Beruf/Arbeit verbindest?

"Der Beste Tag meines Lebens“ von Kool Savas (2002)


„Du bist jung, alles in Hektik um dich herum. Dein Kopf ist gefickt, doch du bist im Grunde frei und gesund. Du kannst entscheiden wohin es geht, was du gern mal wärst, auch wenn das Ziel dir fern erscheint- ein Versuch ist es wert […] ein Leben ist das“


Vielen Dank für das Interview!
Juni 2019

Hinweis: Florian und ich haben auch einen gemeinsam Podcast. Es geht um Visionen, um was auch sonst.

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